Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass die Europäische Union so stark zusammenrückt und zur Bekämpfung von Corona 1,8 Billionen Euro bereitstellt. Die Notenbanken und Regierungen schnüren Rettungspakete in noch nie dagewesenem Ausmaß und nehmen erstmals auch gemeinsame Schulden auf. Noch vor drei Monaten war für niemanden absehbar, wie groß die „Kanonen“ sein würden, mit denen sie das Funktionieren des Finanzsystems und der Realwirtschaft verteidigen. Jetzt wissen wir, sie sind gewaltig und nur zu finanzieren, wenn es keine Zinsen mehr auf der Welt gibt.
Wie bereits zur halbjährigen Depotaufstellung berichtet, sind die politischen Maßnahmen der signifikanteste Grund, warum trotz zum Teil schlechter Wirtschaftsnachrichten die Aktienmärkte steigen. Im Zuge des weltweiten Lockdowns gingen die Ausgaben der Konsumenten zurück und Verbraucher erwarteten einen hohen Einkommensverlust. Doch dann halfen ihnen Staat und Notenbank. In den USA hat das so genannte Helikoptergeld wirtschaftliche Grundsätze komplett auf den Kopf gestellt. Wer im Lockdown den Job verlor, hat in den USA nun sogar mehr Geld in der Tasche als vorher. Auch wenn viele Menschen die Hilfen erst einmal auf ein Sparkonto gelegt haben, legte der Aktienmarkt wieder zu.
Schon oft haben wir vom „Point of no return“ gesprochen: Es gibt einen Punkt, ab dem ein Pilot den Start nicht mehr abbrechen kann, weil die verbleibende Startbahnlänge nicht mehr ausreicht, um das Flugzeug sicher abzubremsen. Ähnliches gilt für die Tiefzinspolitik. Es war bis 2018 umstritten, ob ein Anstieg der Zinsen nicht doch noch möglich wäre und in den USA ist dies ja zwischenzeitlich auch passiert. Spätestens jetzt ist auch für den letzten Investor klar: Die Zinsen müssen niedrig bleiben. Eine Rückkehr zu früheren Zinsniveaus würde hoch verschuldete Länder und Unternehmen überfordern.
Was bedeuten diese zementierten Niedrigzinsen für Anleger?
Beginnen wir mit dem Markt, der nach der Finanzkrise 2008 am stärksten auf die Niedrigzinsen reagiert hat, dem Immobilienmarkt. Vor allem in Spitzenlagen sind die Preise seither stark gestiegen. Angenommen, die Miete würde nun für ein Top-Objekt, das zum Verkauf steht, schätzungsweise über vier Quartale halb so hoch ausfallen wie bisher. Wie viele Kaufinteressenten würden sich aus diesem Grund zurückziehen oder auf einen Abschlag des Kaufpreises bestehen? Für die meisten wären die vier Quartale mit den niedrigeren Einnahmen wohl relativ belanglos, solange sich die Aussichten, zahlungskräftige Mieter zu finden, nicht zeitgleich verschlechtern. Investieren doch Immobilienkäufer in der Regel auf sehr lange Sicht. Ähnliches gilt auch für die Aktienmärkte: Unternehmen mit soliden, widerstandsfähigen Erträgen bleiben attraktiv. Noch besser sind die Aussichten für Unternehmen, die in der Corona-Krise wachsen. Auch hier ist daher die Sorge, ob das nächste oder womöglich auch das übernächste Quartal mäßig laufen wird, für längerfristige {Aktien-} Investoren eher zweitrangig.
Wir wünschen Ihnen ein schönes Wochenende
Beste Grüße