Ein Virus lässt die Welt stillstehen. Und in unserem Blog haben wir auch schon viel darüber geschrieben. Wir finden es aber auch wichtig, dass in regelmäßigen Abständen die Fondsmanager zu Wort kommen und ihre Sicht auf die Corona-Welt schildern. Im nachfolgenden Interview spricht Dr. Bert Flossbach {Gründer und Fondsmanager der Flossbach von Storch AG} über Gesundheit, Wirtschaft, Regierungen, Notenbanken und die Folgen für Geldanleger.
Mit welchen Folgen der Corona-Pandemie rechnen Sie?Das Virus dürfte die Welt vor enorme Herausforderungen stellen, vermutlich die größten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Nehmen wir die wirtschaftliche Seite: Der Schaden, den ein Lockdown über mehrere Wochen anrichtet, ist gewaltig – für viele der betroffenen Unternehmen, jeden einzelnen Unternehmer und Angestellten und damit für die Wirtschaft als Ganzes. Die uns bevorstehende Rezession dürfte deshalb weitaus einschneidender sein, als der Wirtschaftseinbruch infolge der Finanzkrise.
Sie gehen also nicht davon aus, dass sich die Wirtschaft schnell wieder erholt, der Konjunkturverlauf also die Form eines „V“ annimmt?
Nein, so schnell dürfte es nicht gehen. Eher ein „U“ {Anmerkung: Bei einer U-förmigen Erholung verharrt die Wirtschaft länger in der Talsohle, bevor sie langsam wieder Fahrt aufnimmt}. An den Börsen sind die Kurse innerhalb kürzester Zeit eingebrochen, haben sich dann teilweise wieder erholt.
Ist an den Kapitalmärkten das Schlimmste bereits ausgestanden?
Wir gehen davon aus, dass die kommenden Monate sehr schwankend werden. Da wir einen massiven Einbruch der globalen Wirtschaftsleistung, damit verbunden viele Firmenpleiten und den Abbau zahlreicher Arbeitsplätze befürchten müssen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Markt schnell zu alten Höchstständen zurückkehrt, ist daher eher gering.
Wie haben Sie konkret auf den Kurseinbruch reagiert?
Wir waren schon vor der Korrektur vorsichtiger – auch wegen der zum Teil deutlich gestiegenen Bewertungen am Aktienmarkt – und hatten Liqudität aufgebaut. Als die Situation in Italien eskaliert ist und für uns absehbar war, dass die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus zu einem massiven Einbruch der Wirtschaft führen würden, haben wir in der letzten Februarwoche einen Großteil des Portfolios abgesichert.
Hat sich das in der Wertentwicklung der Portfolios widergespiegelt?
Auch wir haben den Sturm an den Märkten zu spüren bekommen. Unsere auf Diversifikation und Qualität ausgerichtete Anlagephilosophie hat sich jedoch als guter Krisenschutz erwiesen. Im Vergleich zu den einschlägigen Indizes konnten wir die Rückschläge deutlich begrenzen.
Haben Sie denn dann zu tieferen Kursen wieder zugekauft?
Das haben wir, aber zunächst nur sehr selektiv, also nur ausgewählte Anlagen beziehungsweise Unternehmen.
Worauf haben Sie beispielsweise bei der Auswahl einzelner Aktien besonders geschaut?
Auf die Qualität der Bilanz eines Unternehmens. Sie ist in einer tiefen Rezession von besonderer Bedeutung. Selbst vermeintlich sichere Geschäftsmodelle wurden und werden durch den Corona-Lockdown und seine Folgen infrage gestellt; zahlreiche Dividendenausschüttungen, aber auch Mietzahlungen, wurden gestrichen.
Was ist mit Anleihen?
Auch da gilt das Qualitätspostulat – zwingend. Anleger, die ausschließlich den Bonitätsnoten der Ratingagenturen vertrauen, könnten im Zuge der Corona-Krise noch böse Überraschungen erleben. Vergleichbar mit denen in der Finanzkrise 2008/2009. Nur sind es diesmal keine verpackten Hypothekenanleihen, die zu einem Problem werden könnten, sondern verpackte Unternehmenskredite.
Was glauben Sie: Wie lange wird es dauern, die Pandemie einzudämmen?
Eine solche Prognose ist mit großen Unsicherheiten verbunden, zumal immer die Gefahr erneuter Ausbrüche besteht. Deshalb ist es so wichtig möglichst bald einen Impfstoff zu haben. Er würde den Menschen die Angst vor einer erneuten Infektionswelle nehmen. Das Vertrauen würde zurückkehren, und es ließe sich wieder optimistischer in die Zukunft blicken.
Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement der Politik in den vergangenen Wochen?
Da maße ich mir kein Urteil an. Die verantwortlichen Politiker sind jedenfalls nicht zu beneiden. Sie müssen einerseits sicherstellen, dass die Gesundheitssysteme nicht kollabieren. Andererseits dürfen radikale Schutzmaßnahmen wie ein Lockdown nicht zu lange währen, weil der wirtschaftliche und gesellschaftliche Schaden sonst nicht mehr zu reparieren wäre.
Aber wie könnte denn eine Lockerung konkret aussehen?
Die Politik könnte schrittweise vorgehen, also Lockerungen durchführen und, falls nötig, wieder zurücknehmen. Das ist vermutlich die einzige Möglichkeit, das Leben wieder ans Laufen zu bringen. Flankierend müssten umfassende Hilfsprogramme initiiert werden.
Weltweit werden gewaltige Hilfspakete geschnürt …
Ich meine Hilfen, die über die bisher verabschiedeten Maßnahmen hinausgehen. Nehmen wir die Bundesregierung als Beispiel. Sie hat einen Nachtragshaushalt über 122,5 Milliarden Euro beschlossen. Sie verspricht, Kleinstunternehmen direkt zu unterstützen und subventioniert unter anderem Kurzarbeit.
Zu wenig? Ich würde davon ausgehen, dass die Kosten am Ende eher bei 300 bis 400 Milliarden Euro liegen; angesichts des Ausmaßes der Krise gibt es da vermutlich keine Alternative.
Wie sieht es in anderen Ländern aus?
Der Befund dürfte für fast alle Staaten gelten. Haushaltsdisziplin hat in diesen Tagen keine Priorität. Die Defizite werden dramatisch ansteigen. Die Staatsausgaben explodieren, die Einnahmen dagegen brechen weg. In der Eurozone liegt die Staatsverschuldung schon heute mit 84 Prozent des Bruttoinlandsprodukts rund 15 Prozentpunkte über dem Niveau zu Beginn der Finanzkrise im Jahre 2008.
Wie schätzen Sie die wirtschaftliche Situation in Südeuropa ein?
Die Südeuropäer leiden besonders, zumal ihnen im Sommer erhebliche Einbußen im Tourismus drohen. Aber auch Deutschland wird die Krise hart treffen – die Autoindustrie wird lange brauchen, um sich zu erholen. Außerdem dürfte der Konsum einbrechen. Selbst wenn sich die Wirtschaft in den kommenden Jahren wieder deutlich erholen sollte, kommen wir mit den Staatsschuldenquoten nicht wieder auf das Vorkrisenniveau herunter.
Wie lassen sich die Staatshaushalte denn überhaupt finanzieren?
Die Notenbanken werden ihre lockere Geldpolitik unendlich fortsetzen müssen. Anders geht es nicht.
Was bedeutet das für Anleger?
Wir hatten vor der Corona-Krise die beginnenden Zwanzigerjahre als Dekade der Finanzrepression bezeichnet. Diese Entwicklung wird nun noch schneller und ausgeprägter ausfallen als gedacht.
Können Sie das bitte erläutern?
Die explodierenden Staatsschulden müssen dauerhaft von den Notenbanken finanziert werden. Die US-Notenbank Federal Reserve {Fed} und die Europäische Zentralbank {EZB} gehen bereits „All In“. Schrumpfende Kapazitäten und höhere Beschaffungspreise und Produktionskosten dürften schon bald die Inflation nach oben treiben. Nullzins minus ein paar Prozent Inflation ergibt negative Realzinsen. Die Inhaber von Staatsanleihen und Sparguthaben dürften schneller enteignet werden, als das zu Beginn des Jahres noch absehbar war. Finanzrepression bedeutet aber auch höhere Steuern und wachsender Staatseinfluss. Immobilienbesitz wird davon am meisten betroffen sein.
Was ist mit Aktien?
Die könnten auch unter höheren Unternehmenssteuern und staatlicher Regulierung der Unternehmen leiden. Allerdings werden die Länder sehr genau darauf achten, dass sie auch zukünftig als Wirtschaftsstandort attraktiv sind – und deshalb nicht überdrehen. Auch wenn die Turbulenzen an den Märkten noch nicht vorbei sein dürften, sind Aktien die wichtigste Anlageklasse zur Immunisierung eines Vermögens gegen Finanzrepression, gefolgt von Gold.
Dabei ist Gold kurioserweise während der Turbulenzen im März zeitweise deutlich zurückgefallen – warum?
Dafür gibt es eine relativ gute Erklärung: Nach einem starken Anstieg des Preises zu Beginn der Krise haben Investoren Goldbestände reduziert, um Zahlungsverpflichtungen zu bedienen. Anschließend ist der Preis dann wieder gestiegen. Dieses Phänomen ließ sich schon während der Finanzkrise beobachten. Aber: Mehr und mehr Menschen dürften das wahre Ausmaß der Krise erkennen. Die Goldpreisentwicklung sollte das in den kommenden Jahren widerspiegeln.
Worauf sollten Anleger in Zukunft besonders achten?
Wer nur auf die Risiken schaut, kann kein Vermögen erhalten, geschweige denn vermehren. Schon gar nicht, wenn noch Steuern und Inflation obendrauf kommen. Wer vor lauter Angst keinen Mut hat zu investieren, begibt sich in eine gefährliche Sackgasse, an deren Ende ein noch größerer Verlust stehen kann. Millionen von Menschen mussten in Zeiten hoher Inflation zusehen, wie ihre Ersparnisse dahinschmolzen.
Aber sollten nicht die Risiken im Fokus eines Anlegers stehen?
Wie gesagt: nicht ausschließlich. Letztlich geht es immer um das Abwägen von Chancen und Risiken – das Mantra unserer Anlagephilosophie. Bis heute prägt es unsere Arbeitsweise. „Risikolose“ Anlagen wie Geldmarktfonds oder Kontoguthaben können langfristig sehr wohl riskant sein; risikoreiche Anlagen wie Aktien langfristig durchaus „sicher“. Es kommt darauf an, wie umfassend man den Risikobegriff definiert. Wer die Verantwortung für das Vermögen Dritter übernimmt, darf sich jedenfalls nicht hinter (pseudo-) wissenschaftlichen Methoden verstecken, sondern muss Risiken und Chancen mit der Umsicht eines Kaufmanns abwägen. Die wichtigste Frage in diesem Zusammenhang lautet doch: Was kann schief gehen, und wie kann ich das Vermögen vor nachhaltigen Verlusten schützen, ohne damit die langfristigen Ertragspotenziale aufs Spiel zu setzen?
Und, wie können Sie vor nachhaltigen Verlusten schützen, ohne dabei die Renditepotenziale aufzugeben?
So wie Menschen verfügen auch Vermögen bzw. Wertpapierportfolios über ein Immunsystem. Es verleiht ihnen Widerstandskraft gegen exogene Schocks, die aus heiterem Himmel kommen …
… aber wie definieren Sie ein gutes Immunsystem. Was zeichnet es aus?
Das Portfolio sollte klug diversifiziert sein. Die einzelnen Titel müssen ein attraktives Verhältnis von Qualität und Wert aufweisen und liquide genug sein, um genügend Handlungsspielraum zu gewähren. Unter Qualität verstehen wir die Höhe und Sicherheit der zukünftigen Zahlungsströme und die Substanz {Solvenz} der Anlage. Der Wert bemisst, wie viel davon noch nicht im Preis enthalten ist. Qualitätsanlagen schlagen langfristig den Durchschnitt – erst recht, wenn sie zu einem attraktiven Preis erworben wurden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Ein schönes Pfingstwochenende wünscht
Ihr Stansch-Team